Zur Geschichte der „Lutherischen Berge“
(Auszüge von Adelheid Pesch)
Die Lutherischen Berge sind ein Teil der mittleren Flächenalb und liegen im Winkel zwischen dem mittleren und unteren Schmiechtal (oder weiter gefasst, beinahe im Zentrum des gedachten Dreiecks zwischen den Städten Ehingen / Blaubeuren und Münsingen). Sie umfassen die Dörfer Ennahofen, Grötzingen, Weilersteußlingen mit Ermelau, und die Schmiechtalorte Talsteußlingen und Teuringshofen. Die Höhenlage der Orte auf der Albhochfläche liegt im Bereich von 710 bis 750m ü.d.M. Der Höhenunterschied zu den Talorten beträgt rund 170m.
Besiedlungs- und Landschaftsgeschichte:
Funde aus Grabhügeln weisen auf eine bereits in der Bronzezeit (1600 bis 1200 v.Chr.) und der Hallstattzeit (Frühe Eisenzeit, 800 bis 400 v.Chr.) vorhandene Besiedlung im Bereich der Lutherischen Berge hin. Man kann davon ausgehen, daß dieses Gebiet also schon in der keltisch-germanischen Frühzeit bewohnt war. Es ist anzunehmen, daß der quellenreiche Tertiärboden, der hier über dem Weißjura lagert, diese Ansiedlung begünstigt hat. Das Vorhandensein von Wasser darf als eine Voraussetzung einer frühen Besiedlung betrachtet werden.
Die Herrschaft der Römer, die im 1. Jahrhundert n. Chr. auch unser Gebiet umfaßte, hat kaum Spuren hinterlassen. Aus dieser Zeit stammt eine silberne Münze von Trajan (röm. Kaiser von 98 bis 117 n. Chr.), die 1845 auf einem Acker am Weg von Weilersteußlingen nach Grötzingen gefunden wurde. Ob damals auf den Lutherischen Bergen schon Ansiedlungen bestanden haben, ist nicht nachzuweisen.
Eine weitgehende Landschaftsveränderung erfolgte nach der Einwanderung der Alemannen, die vom 4. bis 6. Jahrhundert in unserem Gebiet seßhaft wurden. Innerhalb einer großen Rodungsperiode wurden die alten „ingen“-Orte gegründet. Diese „ingen“-Orte bezeichneten ursprünglich eine Personengesellschaft. So war z.B. Grötzingen der Ort der Angehörigen eines Chrezzo. Alemannischen Ursprungs ist mit Sicherheit Grötzingen, im Jahre 817 Chrezzingen, im Jahre 1234 Grezingin so urkundlich erwähnt.
Vermutlich sind nicht viel später die Orte:
Ennahofen (1277 Ennehofen),
Weilersteußlingen (1192 Wiler)
und Teuringshofen (1299 Tuiringeshoven) gefolgt.
Die Jahreszahl in Klammer bedeutet die erste urkundliche Erwähnung.
Eine weitere Rodungsperiode wurde im 6./7. Jahrhundert von den Franken ausgelöst. Es entstanden zahlreiche Zwischensiedlungen, von denen nur noch Ermelau (Ermeloh, loh = Wald) und Westerndorf, das im Dorf Grötzingen aufging, erhalten sind.
Alle anderen Zwischensiedlungen (Ausbauorte) sind zwischen dem 12. und 15 Jahrhundert abgegangen. Dazu gehören:
Hohenbuch – zwischen Grötzingen und Briel (1152 Hohinbuoch);
Kaltuil (1220 Caltiwil) bei Grötzingen,
Asang bei Grötzingen,
Keckenhülen bei Weilersteußlingen,
Dürrheim zwischen Grötzingen und Dächingen,
Breitenfeld zwischen Grötzingen und Dächingen.
Als Gründe für die Aufgabe dieser Siedlungen werden Stadtgründungen in der näheren Umgebung (Ehingen, Schelklingen, Munderkingen), Bevölkerungsschwund durch Pest, Krieg und Fehden genannt. Zuerst wurden ungünstige Lagen mit landwirtschaftlichen Grenzböden aufgegeben. Die alten „ingen“-Orte, umgeben von besseren Böden, blieben erhalten und übernahmen Bewohner und Fluren der abgegangenen Siedlungen.
Staatliche Entwicklung:
Die Geschichte der Lutherischen Berge ist ungefähr vom Jahr 1000 bis 1387 mit den Herren von Steußlingen verbunden. Die mittelalterliche Herrschaft Steußlingen umfaßte neben anderen Besitzungen auch Grötzingen, Weilersteußlingen mit Ermelau, Ennahofen, Talsteußlingen und Teuringshofen. Ihre Stammburg stand bei Altsteußlingen und gab dem Ort den Namen. Die Herren von Steußlingen, die sowohl am kaiserlichen als auch am herzoglich-wirtembergischen Hof eine bedeutende Rolle spielten, sind bis ins 12. und 13. Jahrhundert auf der Ehinger und Blaubeurer Alb reich begütert. Zahlreiche Schenkungen vor allem an die Klöster Zwiefalten und Salem führten zu einem beträchtlichen Rückgang der Einnahmen, so daß Eglof von Steußlingen im Jahre 1270 gezwungen war, seine Herrschaft den Grafen von Wirtemberg als Lehen anzutragen. In diesem Zusammenhang wird erstmals die Feste Neuensteußlingen erwähnt.
Zusammen mit der Feste Altsteußlingen erhielt sie Eglof von Steußlingen von den Grafen Eberhard und Ulrich von Wirtemberg zu Lehen, nachdem er sie an diese zuvor aus wirtschaftlicher Not abgetreten hatte. Rasch war das einst mächtige und reiche Geschlecht der Steußlinger verfallen. Die mit ihm durch Anheirat verwandte Familie Freyberg übernahm das Lehen. Unter ihrer Herrschaft kam es im 14. Jahrhundert mit Zustimmung Wirtembergs zu einer Teilung des Lehens in einen südlichen Teil mit Dächingen, Altsteußlingen und der Burg Briel und einem nördlichen Teil mit den späteren Lutherischen Bergen als Herrschaft Neusteußlingen. Damit war die geschichtliche Weiche für eine verschiedenartige Entwicklung in politischer und kirchlicher Hinsicht gestellt.
Durch den Tod des kinderlosen Pankratius von Freyberg starb im Jahr 1581 die Linie des Hauses Freyberg aus, die Neusteußlingen zu Lehen hatte. Der damalige Herzog Ludwig von Wirtemberg zog darauf die Herrschaft Steußlingen als erledigtes Lehen ein. Neben der alten Burg erbaute er 1582 ein großes Schloß mit einem herrschaftlichen Gut als Sitz der Vogtei über die Lutherischen Berge.
Im selben Jahr ließ er die Reformation durchführen und eine Schule erbauen. Noch jahrelang prozessierten Erben des Pankratius von Freyberg gegen diese Entscheidung Wirtembergs. Nach Vergleichen in den Jahren 1592, 1599 und 1609, für die Wirtemberg 80.000 Gulden zahlte, verzichteten die Erben auf weitere Ansprüche. Das gesamte Grundeigentum im Herrschaftsgebiet gehörte nun Herzog Ludwig von Wirtemberg. Aller Grund und Boden der Untertanen war entweder „Gnadenlehen“ oder „Falllehen“. Die Gnadenlehen wurden an die Nutznießer auf Lebenszeit verpachtet. Sie konnten beim Tode des Beliehenen beliebig einem anderen weitergegeben werden. Die Falllehen konnten weitervererbt werden, wenn beim Tode des Inhabers das Grundstück von den Erben bezahlt wurde.
An Lasten hatten die Lehensleute den Zehnten ihrer Naturalprodukte zu entrichten, sowie zur Unterhaltung der Straßen und öffentlicher Einrichtungen der Herrschaft „Spann- und Frondienste“ zu leisten, dazu noch Handdienste bei der Feldbestellung und der Ernte.
Von einer Zerstörung der Lutherischen Berge während des 30jährigen Krieges (1618 bis 1648) ist nichts überliefert. Die verheerenden Auswirkungen dieses langen Krieges verdeutlichen jedoch folgende Zahlen:
Im Jahre 1603 hatte die Pfarrei Weilersteußlingen einen Bestand von 380 Seelen.
1624 wurden in Ennahofen 36, Grötzingen 33, Weilersteußlingen 23, Ermelau 5, Teuringshofen 6 und Talsteußlingen 5 Einwohner gezählt.
Noch Jahrzehnte über das Kriegsende hinaus waren die Bauern gänzlich verarmt.
Durch die „napoleonische Flurbereinigung“ entstand 1806 das Königreich Württemberg. Es hatte sich infolge dieser Neuordnung um mehr als das Doppelte vergrößert. Knapp 80 früher selbständige Herrschaftsgebiete wurden einverleibt. Am 18. März 1806 wurde Württemberg in 12 Kreise aufgeteilt. Zum Kreis Urach gehörte das Oberamt Steußlingen. Nach mehreren Verwaltungsreformen wurde das Oberamt Steußlingen schließlich dem Oberamt Ehingen angegliedert. Es hatte Bestand, bis im Jahr 1938 eine Kreisneuordnung erfolgte. Aus dem Oberamt Ehingen wurde der Kreis Ehingen, wobei das früher zu Neusteußlingen gehörende Sondernach zum Kreis Münsingen kam. Nach der letzten Kreisreform bildet der Kreis Ehingen seit dem 1. Januar 1973 mit dem früheren Landkreis Ulm den Alb-Donau-Kreis.
Nach dem Verlust des Oberamtssitzes stand das Schloß Neusteußlingen leer und wurde vom Staat zum Abbruch verkauft. 1897 ging die Ruine aus dem Besitz des Wirtes Simmendinger in Talsteußlingen an den Zeitungsverleger Dr. Nübling aus Ulm über, der an derselben Stelle wieder ein Schloß nach altem Vorbild aufbaute.
Nach der Neuordnung der Oberämter 1810 wurden teilweise auch die Gemeindeverwaltungen neu eingeteilt. Im Jahr 1811 erhielten Ennahofen mit den Teilorten Talsteußlingen und Teuringshofen sowie Grötzingen eine eigene „Schultheißerei“. Sie wurden vorher von Weilersteußlingen aus verwaltet. Danach bestanden die 3 Gemeinden der Lutherischen Berge unverändert als selbständige Gemeinden weiter, bis sie zum 1.01.1974 infolge einer Gemeindereform in die Gemeinde Allmendingen eingegliedert wurden. Die kommunalpolitische Zuordnung von Talsteußlingen und Teuringshofen nach Schelklingen geht ebenfalls auf diese Reform zurück.
Kirchengeschichtliche Entwicklung:
Die älteste Kirche der Herrschaft Steußlingen ist die 776 urkundlich erwähnte Martinskirche in Altsteußlingen. Sie wurde u.a. die Mutterkirche für die Pfarrei der Lutherischen Berge. Die Zeit der Stiftung der Kirche in Weilersteußlingen ist nicht überliefert. Man weiß nur, daß bis zur Glaubensänderung von 1582 eine dem Wetterheiligen Pankratius geweihte Kirche stand. Vermutet wird, daß diese im 12. Jahrhundert von Otto von Steußlingen erbaut wurde. Es ist auch bekannt, daß sich in Grötzingen eine dem Ritter Georg geweihte Kirche oder Kapelle befand. Da im Jahre 1234 ein Pfarrer Konrad von Grötzingen urkundlich erwähnt wird, kann davon ausgegangen werden, daß diese Kirche älter ist als die Weilersteußlinger. Sie ist jedoch 1581 nicht mehr vorhanden. In Ennahofen befand sich bis 1790 eine der Märtyrerin Luzia geweihte Kapelle.
Über die Zuständigkeiten und Rechtsverhältnisse der Gotteshäuser der Lutherischen Berge untereinander und zu ihrer Mutterkirche Altsteußlingen vor der Reformation geben die 1582 angefertigten Lagerbücher sowie das Zehntbuch der Pfarrei von Weilersteußlingen Auskunft. Danach gehörten die Bewohner des Schloßes und die Talsteußlinger, sowie die Einwohner von Weilersteußlingen zur Pankratiuskirche in Weilersteußlingen, die im Patronat des Hauses Freyberg von Neusteußlingen stand. Zur Martinskirche in Altsteußlingen gehörten die Grötzinger und Ennahofer, die Teuringshofer zur Pfarrei Schmiechen.
Mit Einführung der Reformation 1582 war die Zugehörigkeit der Grötzinger und Ennahofer zur Pfarrei Altsteußlingen beendet, Sie gehörten fortan zur Pfarrei Weilersteußlingen. Die evangelische Pankratiuskirche war nun im Patronat des wirtembergischen Herzogs.
Die Orte Ennahofen, Talsteußlingen, Teuringshofen, Grötzingen, Weilersteußlingen mit Ermelau heißen seither die „Lutherischen Berge“.